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Es gibt keine Spuren des Völkermords


Tausende Schädel lagern in deutschen Sammlungen

„Nichts erinnert an den Völkermord“

Eine Gruppe Ovaherero-Frauen wird von der „Deutschen Schutztruppe“ in die Wüste getrieben – Szene aus dem Kinofilm „Der vermessene Mensch“.

Eine Gruppe Ovaherero-Frauen wird von der „Deutschen Schutztruppe“ in die Wüste getrieben – Szene aus dem Kinofilm „Der vermessene Mensch“.

© Quelle: Willem Vrey

Vor mehr als hundert Jahren war das heutige Namibia deutsche Kolonie. Die Aufarbeitung der grausamen Zeit hat erst begonnen – auf beiden Seiten. Der Kinofilm „Der vermessene Mensch“ will dazu beitragen. Die Herero-Schauspielerin Girley Charlene Jazama erzählt vom Leid, das bis heute andauert.

Stefan Stosch

Was mit all den Schädeln in deutschen Museen geschehen sollte? Da wird die Stimme von Girley Charlene Jazama entschieden: „Sie sollten endlich an die rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben werden. Damit wir unsere Leute in Würde zur letzten Ruhe betten können. Für uns sind die Vorfahren wichtig. Ich glaube, dass im Umgang mit den sterblichen Über­resten die Ursache für das Generationentrauma in meinem Land liegt.“

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Tausende Schädel von Herero und Nama lagern in deutschen Sammlungen. Als das heutige Namibia deutsche Kolonie war, schickten die Soldaten von Kaiser Wilhelm II. abgetrennte Köpfe kistenweise nach Hause. Von pseudowissenschaftlichen Rassentheorien besessene Forscher warteten darauf, mit ihren Messungen die angebliche Überlegenheit der Europäer zu beweisen.

Der ein oder andere Wissenschaftler machte sich selbst auf in die Kolonie Deutsch-Südwest­afrika, um kulturelle Gegenstände und Knochen einzusammeln. Als die Herero und Nama 1904 den Aufstand gegen die deutschen „Schutztruppen“ wagten, wurden sie Opfer des ersten Genozids des 20. Jahrhunderts. Zwischen 24.000 und 64.000 Herero und etwa 10.000 Nama starben nach heutigen Schätzungen.

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Von einem (fiktiven) Ethnologen erzählt Lars Kraumes Historiendrama „Der vermessene Mensch“ (Kinostart: 23. März). Girley Charlene Jazama, Schauspielerin, Produzentin und Autorin, ist die Hauptdarstellerin. Regisseur Kraume hat in Namibia mit vielen Einheimischen gedreht. Sein Film rührt an einem nationalen Trauma, in Jazamas Fall an einem persönlichen.

„Ich bin selbst Herero, meine Ururgroßmutter war im Konzentrationslager Alte Feste in Windhoek inhaftiert. Meine Urgroßmutter wurde 1909 in diesem Konzentrationslager gezeugt. Das alles habe ich herausgefunden, als ich in dieses Filmprojekt involviert war. Ich begann zu fragen, wie sich das Schicksal meiner Familie in die namibische Historie einfügt.“

Konzentrationslager war schon damals ein gängiger Begriff. Er wurde bereits bei den Burenkriegen in Südafrika verwendet.

Dann fand Jazama heraus, wie ihr Schicksal mit dem der deutschen Besatzer verbunden ist: „Ich erfuhr, dass meine Ururgroßmutter ‚Teedame‘ für einen der Kommandanten war. Da wurde mir klar, dass ich das Nebenprodukt einer Vergewaltigung bin.“

Hauptdarstellerin Girley Charlene Jazama.

Hauptdarstellerin Girley Charlene Jazama.

© Quelle: IMAGO/Panama Pictures

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Über die Generationen hinweg habe es ganz verschiedene Hautfarben in ihrer Familie gegeben: „Viele Herero und Nama befinden sich in einer Identitätskrise, die offensichtlich auf den Genpool der Deutschen zurückzuführen ist. Man sieht nicht unbedingt wie ein Herero aus, sondern eher wie ein Tourist in Namibia, aber man spricht Otjiherero.“

Mehr als 100 Jahre danach hat die Auseinandersetzung mit dem Genozid erst so richtig begonnen – auf beiden Seiten. Die deutsche und die namibische Regierung haben ein Versöhnungsabkommen ausgehandelt. Die Bundesregierung bittet darin offiziell für den Völkermord um Entschuldigung. Deutschland will 30 Jahre lang Entwicklungsprojekte in den Herero- und Nama-Gebieten mit 1,1 Milliarden Euro finanzieren.

In Namibia stößt das Abkommen auf Widerstand. Warum? „Die Vertreter der Nachkommen hatten bei den Verhandlungen keine Stimme. Sie haben das Gefühl, dass ihre Regierung sie übergangen hat“, sagt Jazama.

Regisseur Kraume bewegte sich mit seinem Film auf sensiblem Terrain. „Lars ging mit seinem Produktionsteam behutsam vor“, schildert die Hauptdarstellerin. „Bei den Dreharbeiten war eine Psychologin am Set, um zu helfen, wenn generationenübergreifende Verletzungen durchbrachen.“ Privat werde, so Jazama, wenig über die schmerzhafte Vergangenheit gesprochen.

Der vermessene Mensch

Kino im Wüstensand: Open-Air-Aufführung des Films „Der vermessene Mensch“ in Namibia.

© Quelle: Verleih

Vor dem deutschen Kinostart zeigte Kraumes Team den Film in Namibia. Kein leichtes Unterfangen: „Es gibt bei uns insgesamt nur drei Kinos in Windhoek und Swakopmund“, erzählt die Hauptdarstellerin. „Wir wollten den Film auch auf Hereroland vorstellen, wir wollten die Zustimmung der traditionellen Anführer.“ Schließlich organisierte eine Firma für mobiles Kino die Open-Air-Vorführungen weitab der Zentren.

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Einige Szenen von „Der vermessene Mensch“ spielen auf der Haifischinsel vor der Stadt Lüderitz. Die deutschen Truppen hatten auf der Halbinsel eines der größten Konzentrations­lager eingerichtet. Tausende starben dort. Sie verhungerten, erlagen dem Skorbut oder den Folgen der Zwangsarbeit. An diesem Ort des Schreckens landet Jazamas Filmfigur und muss Herero-Schädel für die Verschickung nach Deutschland auskochen.

Und heute? „Heute erinnert dort beinahe gar nichts mehr an das einstige Konzentrations­lager“, sagt die Schauspielerin. Ein Campingplatz ist auf der Halbinsel errichtet worden. Jüngst hat die hannoversche Archäologin und Museumschefin Katja Lembke auf der Haifischinsel nach Überresten des früheren KZs geforscht. Sie stieß auf zahlreiche Spuren des Gefangenen­lagers. An deren Sicherung scheint niemand Interesse zu haben.

In Namibia wandelt man nach Jazamas Worten immer noch durch die Kolonialzeit. Noch immer gebe es ein Kaiser-Wilhelm-Hotel. In der Grundschule lernte Jazama Deutsch. In Museen wird der deutschen Eroberer gedacht. Bislang ist die Erinnerung des Landes vom Befreiungskampf gegen Südafrika geprägt, der erst 1990 erfolgreich war.

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„Es gibt nichts, was unbedingt an den Völkermord erinnert“, sagt Jazama. „Aber wir Herero versammeln uns im August in Okahandja zwischen Swakopmund und Windhoek, um des Völkermords zu gedenken.“

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Nach Worten von Jazama ändert sich aber gerade etwas in ihrem Land: „Viele Aktivisten und Künstler haben sich darangemacht, sich für die Dekolonialisierung Namibias zu engagieren.“ Es entstünden erste namibische Filme über das dunkle Kapitel. Denkmale von weißen Besatzern wurden abgebaut. „Das Gespräch über den Völkermord hat endlich begonnen“, sagt sie.

Auch im Deutschen Bundestag war der Film „Der vermessene Mensch“ zu sehen. Girley Charlene Jazama ist mit Hoffnung aus dieser Vorführung gekommen: „Ich glaube, dass wir die Chance haben, es besser zu machen als unsere Vorfahren, auch im Interesse der nächsten Generationen. Wir müssen mit gutem Beispiel vorangehen.“

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Author: Miss Katie Robbins

Last Updated: 1703200803

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