Die amerikanische Silicon Valley Bank kollabiert – der Staat übernimmt die Kontrolle
In den USA schlossen die Behörden die Silicon Valley Bank, nachdem die Kunden massenhaft ihre Einlagen zurückgezogen hatten. Am Freitag tauchten deshalb weltweit die Kurse von Bankaktien.
Es handelt sich um den grössten Kollaps einer Bank in den USA seit der Finanzkrise. Amerikanische Medien sprechen sogar von der zweitgrössten Pleite in der Geschichte des Landes. Betroffen ist die Silicon Valley Bank (SVB), die in den letzten Tagen einen Bank-Run zu gewärtigen hatte, als Kunden massenhaft ihre Einlagen zurückzogen. Die Aktie hatte diese Woche über 80 Prozent an Wert verloren, womit Zweifel an der Substanz der Bank immer offenbarer wurden.
Am Freitag wurden die Notierungen zunächst ausgesetzt, weil es sonst noch einmal dramatisch weiter nach unten gegangen wäre. Finanzministerin Janet Yellen hatte am Morgen erklärt, ihr Haus beobachte die Entwicklung. Die SVB dagegen versuchte dem Vernehmen nach, einen Verkauf an eine andere Bank, an einen Grossinvestor oder andere «Rettungsmöglichkeiten» auszuloten, doch dazu sollte es nicht mehr kommen.
Im Verlauf des Freitags griff der kalifornische Bankenregulator durch und stellte die SVB unter die Obhut der FDIC, der nationalen Einlagensicherung. Zum Schutz der Kunden seien alle Einlagen der Bank in eine neue Zweckgesellschaft übergeführt worden. Laut der FDIC sollen Kunden bis spätestens am Montagmorgen Zugriff auf die von der Einlagensicherung gedeckten Guthaben erhalten. Geschützt sind dabei Beträge bis zu 250 000 Dollar. Wer mehr als diese Summe der Bank anvertraut hat, muss nun warten, bis er weiss, was davon noch übrigbleibt.
Laut FDIC verwaltete die Bank Ende Dezember insgesamt Vermögenswerte im Volumen von 209 Milliarden Dollar und hatte 175 Milliarden Dollar an Kundeneinlagen. Sie ist damit die Nummer 16 in den USA. Noch vor anderthalb Jahren war die Bank an der Börse mit 44 Milliarden Dollar bewertet gewesen.
Wie ist es zu dem Debakel gekommen? Die Muttergesellschaft der Silicon Valley Bank hatte in den durch das Billiggeld der Zentralbanken und die Pandemiehilfen ausgelösten Boomzeiten zunächst von den gewaltigen, risikofreudigen Aktivitäten und Spekulationen im Tech- und Wagniskapitalbereich profitiert.
Wegen Liquiditätsnöten in Schwierigkeiten
In den vergangenen Tagen jedoch musste das Finanzunternehmen seinem Portfolio erst alle halbwegs liquiden Wertpapiere im Gegenwert von gut 20 Milliarden Dollar entnehmen und mit erheblichen Verlusten auf den Markt werfen, weil ihm die Kunden mit ihren Geldern davonliefen. Zudem sah sich der Vorstandschef Greg Becker genötigt, eine Kapitalerhöhung um mindestens zwei Milliarden Dollar anzukündigen, um die Bilanzstruktur auf ein Umfeld mit höheren Zinsen auszurichten, wie es beschönigend heisst.
SVB Financial – Ausverkauf wegen Zweifeln an der Substanz der Bilanz
Kursentwicklung in Dollar
Platzen der Internetblase
Beginn der Corona-Krise
«Wir ergreifen diese Massnahmen, weil wir mit anhaltend hohen Zinsen und volatilen öffentlichen und privaten Märkten rechnen sowie damit, dass unsere Kunden mehr Geld als in der Vergangenheit verbrennen werden, während sie in ihre jungen Unternehmen investieren», erklärte er in einem Brief an alle Interessierten – und das, kurz nachdem mit Silvergate Capital ein Finanzinstitut einfach die Segel gestrichen hatte. Es hatte sich im scheinbar lukrativen Geschäft mit angeblichen Krypto-Vermögen völlig verrannt.
Kleinere Banken kämpfen mit der neuen Zinsstrategie
Das Problem der beiden ehemaligen Highflyer aus Kalifornien waren zunächst ungewöhnlich wankelmütige Anleger, die dazu tendieren, ihre Gelder schnell abzuziehen, sobald sie Schwierigkeiten wittern. Der bekannte Investor Peter Thiel vom Founders Fund goss kurzfristig sogar noch weiteres Öl ins Feuer, indem er allen seinen Beteiligungen riet, ihre Mittel von der SVB Financial Group abzuziehen. Andere Wagnisfinanzierer schienen sich dem aus Sorge über ein Insolvenzrisiko angeschlossen zu haben.
Hinter dem Ganzen verbirgt sich eine strukturelle Entwicklung, die das gesamte amerikanische Finanzwesen betrifft: Vor allem kleinere und mittelgrosse Banken hatten ihre Bilanzen in der Vergangenheit mit niedrig verzinsten Anleihen überladen, die nun aufgrund der aggressiven Zinsstrategie des Federal Reserve zur Inflationsbekämpfung buchtechnisch im Minus liegen und die sie im Notfall nicht auf die Schnelle verkaufen können, ohne Verluste zu machen.
Sobald viele Kunden ihre Einlagen auf einmal abheben wollen, droht ein Teufelskreis. Grosse Institute sind breiter aufgestellt und können mit ihren riesigen Kreditbüchern tendenziell von steigenden Zinsen profitieren, solange sich die Konjunktur nicht zu stark eintrübt.
US-Banken sitzen auf enormen, nicht realisierten Wertpapierverlusten
Wertpapiere in Milliarden Dollar*
Beginn der Corona-Krise
Erste Leitzinserhöhung des Fed
Geldhäuser müssen bei ihren Anleiheportfolios keine Verluste ausweisen, sofern sie diese Papiere bis zur Fälligkeit halten. Das ändert sich in dem Moment, in dem sie sie plötzlich mit Verlust verkaufen müssen, um Barmittel zu beschaffen. Denn dann werden die gemäss Rechnungslegungsvorschriften nicht realisierten Verluste plötzlich real. Das mag manchen wohlmeinenden Anleger überraschen, obwohl sich die nicht realisierten Verluste bei der SVB Financial Group im vergangenen Jahr akkumulierten – wie jeder sehen konnte, der sich die Mühe machte, die Finanzberichte dieser Bank zu lesen.
Massnahmen der Notenbank rächen sich
Und das Problem ist keineswegs isoliert. Denn wie die jüngsten veröffentlichten Daten der amerikanischen Einlagensicherung FDIC zeigen, sassen die Mitglieder dieser Institution Ende Dezember des vergangenen Jahres auf unrealisierten Verlusten auf Wertpapieren in ihren Büchern in Höhe von 620 Milliarden Dollar. Das hat ganz einfach damit zu tun, dass Zins- und andere Wertpapiere an Wert verlieren, sobald das Zinsniveau steigt. Je länger die Laufzeit von Zinspapieren und je niedriger ihr Coupon ist, desto grösser ist das Minus.
So rächen sich nun die gewaltigen geld- und fiskalpolitischen Stimulierungsmassnahmen von Notenbank und Regierung, die bei den Banken zunächst zu einem Einlagenboom und indirekt an den Finanzmärkten zu Euphorie geführt hatten.
Die inländischen Einlagen bei staatlich versicherten Banken stiegen von Ende 2019 bis Ende 2021 um 38 Prozent, wie Daten der FDIC zeigen. Im gleichen Zeitraum stiegen die vergebenen Kredite nur um sieben Prozent, so dass viele Institute über grosse Mengen an Barmitteln verfügten, die sie bedenkenlos an den damals noch boomenden Wertpapiermärkten investierten. Die Treasury-Bestände der amerikanischen Geschäftsbanken stiegen im genannten Zeitraum um 53 Prozent auf 4,58 Billionen Dollar.
Einlagenexplosion bei SVB Financial
in Milliarden Dollar
Beginn der Corona-Krise
Erste Leitzinserhöhung des Fed
Zieht der Run weitere Kreise?
Die SVB Financial Group mit Sitz im kalifornischen Santa Clara beziehungsweise ihre Tochter, die Silicon Valley Bank, war und ist auf das Geschäft mit Technologie-, Risikokapital- und Private-Equity-Firmen spezialisiert und war im Rahmen des gigantischen Booms in diesem Bereich in den vergangenen Jahren rasant gewachsen. Die Gesamteinlagen hatten sich von Januar 2021 bis in den März des Jahres 2022 fast auf 200 Milliarden Dollar verdoppelt, bevor sie bis Ende 2022 dann um 13 Prozent fielen.
Kreditanalysten von Standard & Poor’s nahmen das in Verbindung mit «der Konzentration auf von Investoren finanzierte Einlagen von Technologieunternehmen und der Verlangsamung öffentlicher und privater Investments» zum Anlass, die Kreditwürdigkeit der SVB Financial Group auf gerade noch eine Stufe über Ramschniveau herunterzustufen. Sie fürchten, der Run auf die Einlagen des Finanzunternehmens könnte weitergehen. Neben den Aktien haben auch die Schuldverschreibungen der SVB im vergangenen Jahr erheblich an Wert verloren.
Kurse der Finanzwerte mit spekulativem Dreh krachen zu Boden
Indexierte Kursentwicklung
Beginn der Corona-Krise
Nasdaq-Bank-Index mit grösstem Rückgang seit drei Jahren
Die gesamte Entwicklung belastet inzwischen die Stimmung, was die Finanzwerte anbelangt – nicht nur an der Wall Street, sondern auch in anderen Teilen der Welt. In Europa etwa haben die Aktien der Deutschen Bank am Freitag mehr als 8 Prozent ihres Wertes verloren, und in der Schweiz sind die Notierungen der Papiere der UBS sowie jene der Credit Suisse um mehr als 5 Prozent gefallen. Der Wert der CS-Aktie fiel auf einen Tiefststand.
Der KBW-Nasdaq-Bank-Index gab am Freitag weiter nach, nachdem er am Donnerstag mit einem Minus von 7,7 Prozent den grössten Rückgang seit der Pandemie vor fast drei Jahren verzeichnet hatte. Der Marktwert der vier grössten Banken in den USA ist an einem einzigen Tag um 52 Milliarden Dollar geschrumpft. Neben dem massiven Minus der Aktien der SVB Financial Group mussten am Donnerstag auch die Papiere der First Republic Bank, Signature Bank, Zions Bancorporation und von Charles Schwab Tagesverluste zwischen 10 und knapp 17 Prozent hinnehmen. Am Freitag fielen die Kurse der beiden Erstgenannten bis um 20 Uhr MEZ erneut um 20 bis 25 Prozent. Das fühlt sich wie Panik an.
«Die Silicon Valley Bank ist nur die Spitze des Eisbergs», sagte Christopher Whalen vom Beratungsunternehmen Whalen Global Advisors. «Ich mache mir keine Sorgen um die Grossen, aber viele der kleinen Finanzunternehmen werden einen schweren Schlag einstecken müssen», erklärte er und rechnet damit, dass manche frisches Eigenkapital aufbringen müssen.
Zweijahresrendite auf US-Staatspapieren erstmals seit 16 Jahren über 5 Prozent – folgt der Leitzins?
Entwicklung, in %
Geplatzte Internetblase
Beginn der Corona-Krise
Author: David Bennett
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